„Es muss ja nicht so bleiben…“ – Stadtteilpolitische Utopien gestern und heute

Veröffentlicht: Mai 24, 2012 in Zum Weiterlesen und Hintergrundinformationen

 

7.6.12 – 20.00 Freizeitheim Linden (Windheimstr. 4)

– Diskussion mit Jonny Peter & N.N. Recht auf Stadt HH)

Die Ideen eines anderen Zusammenlebens jenseits der Abwehr von Verschlechterungen sind selten sichtbar in den Auseinandersetzungen im Stadtteil. Manchmal können die Aktiven sie selbst nicht formulieren. Mit zwei Aktiven machen wir uns daran, die verschütteten Utopien zu bergen.

 

Dokumentation:

Nach der obligatorischen Einführung mit den Informationen zur Entstehung der Veranstaltungsreihe und des Zukunftsforums, sowie der Vorstellung des Vorbereitungskreis, stellten sich die Referenten selbst vor.

Georg (Recht auf Stadt Hamburg) ist über sein politisches Engagement mit der Stadtteilpolitik in Berührung gekommen. Dabei spielte die Ende der 1970er vorherrschende Stimmung „Politik machen zu müssen“ eine besondere Rolle. Das stadtteilpolitische Engagement war zunächst nicht bewußt, sondern über die Notwendigkeit das von ihm mitbesetzte Haus „zu halten“. Das damalige Paradigma politische Prozesse spiegeln immer den Systemkonflikt wider änderte sich mit dem Ende des Kalten Krieges. Politisches Engagement wurde für ihn danach zu einer Lebensbegleiterin und die Stadtteilpolitik war der konkrete Moment. Wichtig ist dabei „Erfahrung weiterzugeben“ und „dem Stadtteil etwas zurückzugeben“

Georg betonte, dass er den Begriff „Stadtteilpolitik“ spießig findet und er ihn an Stände mit Sonnenschirmen von SPD und CDU erinnert.

Auch für Jonny (Quartier e.V.) hatte der Beginn des Engagement etwas sehr konkretes, da in den 1970ern in Linden heftige Auseinandersetzungen wegen der Sanierungmaßnahmen geführt wurde. Begonnen hatten die Auseinandersetzungen mit den Sanierungen in Linden-Süd, wo es auch zu Hausbesetzungen gekommen war. Für ihn persönlich war die Auseinandersetzung um die Viktoriastrasse der Auslöser des Engagements. (zur Geschichte der Sanierung Lindens siehe: Geschichten aus der Lindener Geschichte 1). Ende der 1970er kamen zunehmend Studierende zu den bisher in erster Linie von den „Ur-LindenerInnen“ getragenen Kämpfe. Die Forderungen waren entsprechend der verbreiteten Haltung der Studierenden solidarisch mit der ArbeiterInnenklasse zu sein: Wenn Sanierungen, dann FÜR die LindenerInnen und Häuser modernisieren zu vernünftigen Mieten.

Jonny fand es wichtig, dass der Begriff „Gentrification“ zu abstrakt ist und er „Schickmicksierung“ bevorzugt.

Nach der Vorstellung wurde die Talkshowartige Diskussion mit der Frage eröffnet, wo beide die wichtigsten Unterschiede heutigen Engagements zu dem früherer Tage sehen.

Als wichtigste Veränderung wurde genannt, dass früher eine klare Feindschaft bestanden habe. Ein Gefühl von „Denen gehört die Stadt“ und die klare Erkenntnis, dass „Hochhäuser scheiße sind“. Ein Umstand, der in Hannover weniger stark zum Tragen kam, da hier die Sanierung in erster Linie von der Stadt ausging und die SPD (als herrschende Partei) auch mit interner Kritik (linker Ortsverband Linden-Limmer) zu kämpfen hatte. Die Auseinandersetzung um die Fannystrasse (private Räumung) als explizite Ausnahme.

Heute wird dagegen viel weniger konfrontativ, als vielmehr diskursiv mittels Fachpolitik, Förderwegen und EU-Mitteln sowie Bürgerbeteiligung befriedet. Auch die Verschiebung von Diskussionen (Wie können Hochhäuser lebenswert gemacht werden / Umgang mit dissozialen Gruppen) hat bis vor einigen Jahr viel Konfliktpotential gedeckelt.

Ein weiterer Unterschied ist die veränderte Weltpolitik. Bis Ende der 1980er führten fast alle Diskussionen immer über kurz oder lang zu einer Weltpolitischen Einordnung. Heute dagegen kommt die Weltpolitik mittels internationaler Investmentfonds und Konsumketten in den Stadtteil.

Daran schloss sich die Frage an, was beide als Erfolge ihres vergangenen Engagements ansehen und welche Gründe sie dafür angeben würden.

Für Linden konnte dies kurz und knapp beantwortet werden: die alte Bausubstanz ist stehen geblieben. Die Umwandelung des Stadtbilds durch Abriss und Neubau in Form von Hochhäusern konnte verhindert werden.

Als wesentlicher Faktor wurde dabei genannt, dass der Stadtteil insgesamt politischer gewesen ist. Es fand mehr gemeinsame Diskussion statt. Auch der Fokus war in den letzten Jahren vermehrt auf Einzelthemen (Stadtbahn, Bebauung Lindener Brauerei). Erst jetzt, seit Mitte des letzten Jahres, flammt die „gesamtstadteilbezogene“ Diskussion wieder auf.

Ganz allgemein wurde darüber hinaus auch genannt, dass auch „die Gegenseite“ unerfahrener war. Wobei gerade die sozialdemokratisch beeinflussten Akteure eine Beteiligung der Betroffenen aus ideologischen Gründen zumindest zum Teil mit einbezog.

Die neoliberale Politik mit BürgerInnenbeteiligung wurde als Feigenblatt, zur Kostenersparniss oder als Möglichkeit kreatives Potential auszubeuten kritisiert. Als Beispiel wurde eine Auseinandersetzung aus Hamburg genannt, wo es um die Frage der Bebauung des Schanzenparks ging. Als der Runde Tisch nicht im Sinne der angedachten Lösungen agiert, sondern eigene Ideen verwirklicht sehen wollte, wurde das Tisch wieder eingestampft. Ähnlich, wie bei der Auseinandersetzung um die Hochbahnsteige in der Limmerstrasse, wurde argumentiert, dass für eine Minderheit der Gesamtstadtbevölkerung (aber der Mehrheit im Stadtteil) keine „Extrawürste“ gebraten werden würden.

Aus diesem Grund hat das Recht auf Stadt Bündnis in Hamburg auch formuliert, dass sie nicht „mitreden wollen“, sondern eigene Interessen entwickeln und durchsetzen. In der Diskussion wurde dies soweit relativiert, als dass dies nicht absolut zu sehen ist, sondern durchaus auch taktisch mit den bestehenden Möglichkeit der Mitbestimmung umgegangen werden könne.

Für die Umsetzung ist dabei wichtig, dass eine erfolgreiche BürgerInnenbeteiligung Mehrheiten benötigt. Dies bedeutet aber auch immer die Bereitschaft zu haben Kompromisse einzugehen. Dabei spielt insbesondere die öffentliche Meinung eine wichtige Rolle. Als wichtigster Vorteil gegen Vereinnahmung ist darüber hinaus ein „Wir“-Gefühl, das Spaltungen und Gegeneinanderauspielen verhindern kann.

Wichtig ist dabei die Mechanismen erkennen zu können mit denen z.B. Verdrängung stattfindet. Vor allem, das Stadtteilpolitik immer bestimmte Interessen durchsetzt. So zum Beispiel die Verdrängung von MigrantInnen, renitenter oder prekarisierter Bevölkerung durch die gezielte Ansiedlung von Studierenden mittels verbilligter Mieten. Aber auch die Gründung von „Kreativimmobilien“, die in erster Linie neue, zahlungskräftige BewohnerInnen anlocken soll, anstatt der eingesessenen Bevölkerung neue Möglichkeiten zu bieten.

Gerade Sanierungsgebiete heißen in der Erfahrung, dass die Mieten steigen – bieten andererseits aber auch die Möglichkeit der Deckelung von Mieten. So konnte zum Beispiel in Linden-Nord durch die BürgerInnenbeteiligung und das Engagement des linken Ortsverbands viel verhindert werden. Wobei aber auch die Sondersituation bestand, dass die Stadtregierung – mit der Drohenden Gefahr der Abwahl – ganz anderen Zwängen ausgesetzt war.

Private Investoren (auch Fonds) können dagegen selbst die Stadt unter Druck setzen. Hierbei kommt ihnen das neoliberale Paradigma zugute. Städte müssen sich fit für den Markt machen. Dazu gehört auch der Schuldenabbau. Dieser kann wahlweise durch Sparen oder Privatisierung wie Verkaufen von Eigentum – in der Regel des sozialen Wohnungsbaus – stattfinden. Letzteres ist besonders fatal, wie die Erfahrung zeigt.

Problematisch an der heutigen Situation ist, dass viele Einflussmöglichkeiten abgeschafft wurden und die Verrechtlichung vieles schwierig macht. Dagegen müssen dann eigene, neue Instrumente entwickelt werden. Die bestehenden Gremien der Bürgerbeteiligung sind wichtig, aber haben die Tendenz Konflikte zu befrieden. Daher ist es wichtig weitere Instrumente zu entwickeln, die auch die bestehenden Grenzen sprengen könne. Insbesondere dann, wenn nach „Recht und Gesetz“ nichts mehr geht.

Ein weiteres Beispiel aus Hamburg: An einem zentralen Platz wurde ein Container aufgestellt – ohne vorher Genehmigungen einzuholen. Dieser dient als Treffpunkt zur „Wunschproduktion“. Leute können dort ihre Wünsche äußern und werden auch aktiv gefragt. Daraus wurde ein Forderungskatalog entwickelt, der dann zur Verhandlung mit „Offiziellen“ benutzt wird. Wichtig war, dass sich die OrganisatorInnen gegen jegliche Vereinnahmung erfolgreich wehren konnten.

In Bezug auf Linden wurde debatiert, dass seit der Sanierungsphase die Möglichkeit des Austausch abgenommen hat. Mit dem Verschwinden des akuten Drucks hat auch die Bereitschaft des Engagements abgenommen. Die eingerichteten Bezirksräte haben zusammen mit der Professionalisierung und der damit einhergehenden aufreibenden Praxis, immer wider neu um Förderung zu kämpfen, zu einem Rückzug der (ehemals) Aktiven in Spezialdiskussionen geführt. Der Stadtteil hat die Sozialen Themen nicht mehr diskutiert. Ein Umstand der sich langsam wieder ändert. Noch aber fehlen die Orte an denen Kommunikation stattfindet. Diese Orte sind aber wichtig, da für Auseinandersetzungen und die Durchsetzung von Forderungen die frühzeitige Entwicklung eines möglichst breiten „Wirs“ nötig ist.

Gerade in Hannover gibt es bisher erst wenig Orte für die Kommunikation.

Wieder ein Beispiel aus Hamburg. Dort wird in einem Kiosk eine „echte“ BürgerInnensprechstunde eingerichtet. Ganz im Sinne der erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit – bietet die BürgerInnensprechstunde die Möglichkeit für PolitikerInnen sich an die BürgerInnen zu wenden. Außerdem – und das ist der eigentliche Sinn – können hier BürgerInnen einmal in der Woche ihre Probleme loswerden. So beginnt die Veränderung im Stadtteil ja nicht erst mit der Einrichtung von Sanierungsgebieten, sondern mit der (Luxus)-Sanierung von Wohnungen. Und ein sicheres Zeichen ist es, wenn Menschen umgesetzt (verdrängt) werden. So zum Beispiel Drogenabhängige, die von ihren Plätzen vertrieben werden oder deren Fixpunkte (Wortspiel!) geschlossen werden.

Exkurs zum Netzwerk Recht auf Stadt HH:

Das Netzwerk besteht aus verschiedensten Initiativen und begreift sich als Vernetzung und weniger als Bündnis. Es hat vor allem keine SprecherInnen. Wobei von „der anderen Seite“ gerade diese SprecherInnen für Vereinnahmung oder zum Herumreichen in Talkshows gewünscht werden. Auch widersetzt sich das Netzwerk dem Druck Entscheidungen zu treffen. Vielmehr wird nach dem Motto gehandelt „Dinge werden getan wenn sie richtig sind und nicht wenn andere drängen.“ Dies liegt auch an der Ausrichtung auf Entscheidungsfindung im Konsens. Weitere Aspekte sind Solidarität, Transparenz und konsequente Beachtung von Genderaspekten. Die Grundlage der Arbeit des Netzwerk kann mit „Gelassenheit und Wut“ beschrieben werden.

Viele weitere Aspekte können nur angerissen werden, gerade was die Situation in Linden. Gerade der Wegfall von offenen Flächen wir problematisch gesehen, während die Privatisierung von Mietwohnung ambivalent ist. Es scheint, dass Linden zwar immer noch anders ist, aber zunehmend sozial und ökonomisch auseinander driftet. Insbesondere auch das subjetktive Sicherheitsempfinden birgt noch Konfliktpotential. Rückblickend kann festgestellt werden, dass sich in der Auseinandersetzung um Stadtteilpolitik ein Wechsel anbahnt. Während es früher um den Erhalt der Häuser ging, ist heute zunehmend der soziale Zusammenhalt das beherrschende Thema.

Abschließend wurde formuliert, dass Wünsche nicht an „die Stadt“ sondern den politischen Raum gerichtet werden müssen. Die Aneignung von Stadt ist dabei ein wichtiger Aspekt. Neue Aspekte, wie die Einbeziehung des digitalen Raums und die Freiraumgestaltung in Form des „Urban Gardening“ sind dabei in die bisherigen Diskurse zu integrieren.

Letztlich bleibt aber das herrschende Paradigma: Politik muss Spaß machen!

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